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Gerhard Schwischei für Salzburger Nachrichten

EIN KÜNSTLER ALS THERAPEUT

Menschen, denen es immer besser geht, fühlen sich immer schlechter. Derzeit werden in Österreich so viele Psychopharmaka verschrieben wie noch nie zuvor. Womit das zu tun hat? Ganz sicher auch mit den Erwartungshaltungen in unserer Gesellschaft. Immer schöner, immer toller, immer ausgefallener - was uns Werbung, Fernsehen, Internet oder Zeitgeistmagazine vorgaukeln, hat meist mit der Realität nicht wirklich viel zu tun. Fit ist gut, aber muss es gleich ein Waschbrettbauch sein? Zu viel Gewicht ist schlecht, aber magersüchtige Models auch. Überdrübersex in Film und Pornos mag ja Appetit machen, aber Vorsicht, dass dann auch noch Hausmannskost schmeckt. Bernhard Ludwig, 1999 mit dem österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet, ist in seinem Selbstverständnis eigentlich gar kein Kabarettist, sondern vielmehr Therapeut. Seit Anfang der neunziger Jahre legt er die Schwachstellen der Österreicher beim Sex und beim Essen bloß. Mit unheimlich viel Humor - denn Lachen löst Verkrampfungen, hilft über die eigenen Unzulänglichkeiten hinweg. Doch Vorsicht: In Ludwigs Seminarkabaretts bleibt einem das Lachen auch schon einmal im Hals stecken, und man fragt sich: "Sitze ich jetzt in einem Kabarett oder unterziehe ich mich gerade einer Gruppentherapie?" Ludwig, der mittlerweile Säle und Hallen für 1000 Leute und mehr füllt, trennt seine Zuschauer nach Geschlecht und Beziehungen. Frauen in der einen Saalhälfte, Männer in der anderen, und auch Freundinnen und Freunde dürfen nicht nebeneinander sitzen. Denn nur so funktionieren die interaktiven Spielchen des Kabarett-Therapeuten perfekt. Die Zuschauer dürfen nicht klatschen, dafür aber summen. Wenn Bernhard Ludwig dann die Frauen fragt, ob sie beim Sex mit ihrem Partner häufig einen Orgasmus vortäuschen, und es summt wie in einem wild gewordenen Bienenschwarm, dann wird viel gelacht, von der einen Hälfte des begeisterten Publikums herzlich, von der anderen etwas gequält. Für die Frauen ist es ein befreiendes Lachen, und die "tollen Hengste" werden sanft auf den Boden der Realität zurückgeholt. Bernhard Ludwig kennt keine Tabus und er reizt den Spielraum in Sachen Sex mit jedem Jahr mehr aus, ohne jedoch jemals schlüpfrig oder geschmacklos zu werden. Nicht zuletzt auch das macht seine "Gruppentherapie" zur Kunst. Im Herbst wird er im Gasometer in Wien mit einem adaptierten Sexprogramm auftreten, das dann nicht mehr "Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit" heißen, sondern frontaler formuliert "Sex - länger, besser, härter" lauten wird. Die Erwartungen, die in Fernsehen, Medien, in Pornokanälen, von Exhibitionisten in Talk-Shows oder im Internet erzeugt würden, seien die größte Quelle für hohe Unzufriedenheit, sagt Ludwig. "Alle glauben, die Freunde und Bekannten hätten die viel größere Gaudi als sie selbst." Lustlosigkeit mache sich vor allem in langfristigen Partnerschaften breit. Jeder Mensch habe seinen eigenen sexuellen Fingerabdruck, der durch Veranlagung, Erziehung und Spuren, die Partner hinterlassen, bestimmt werde. Und der männliche Fingerabdruck sei wieder anders als der weibliche. "Die Kreise zwischen Mann und Frau überschneiden sich", erklärt Ludwig, "und was bleibt, ist der kleinste gemeinsame Nenner." Doch während man am Anfang einer Beziehung noch versuche, sich auch dar-über hinaus zu treffen, konzentriere man sich auf längere Sicht gesehen nur noch auf dieses kleinste Gemeinsame. Sein Ziel sei es nun, diesen gemeinsamen Nenner wieder auszubauen, die sexuelle Fantasie der Zuschauer anzuregen. "Nach meinem Kabarett verschwinden die Leute so schnell wie nirgendwo sonst", meint der Massentherapeut amüsiert. Die Wissenschaft hinter den Gags Der ausgebildete Psychotherapeut erstellt sein Programm nicht einfach aus dem Bauch heraus, sondern jeder Gag hat meist einen wissenschaftlich abgesicherten Hintergrund. Das macht ihn inhaltlich auch von Psychologen, Psychiatern und Therapeuten nicht angreifbar, im Gegenteil man gesteht ihm große Fachkompetenz zu. Experten bewerten sein Programm zu 80 Prozent als Therapie und zu 20 Prozent als Kabarett. Wenn er gemischtes Publikum am Ende einer Vorstellung fragt, heißt es meistens 50:50. Er selbst sagt: "100 Prozent Therapie." Bernhard Ludwig wird es vielleicht schon bald in einer Fernsehreihe geben, auf CD, Film und im Internet (www.seminarkabarett. com) gibt es ihn ohnehin schon. Wobei er auf seiner Homepage auch individuelle Diätbetreuung anbietet. In Zukunft will er die therapeutische Nachbetreuung im Internet noch weiter ausbauen. Wenn Psychotherapie tatsächlich so lustig sein kann wie beim Wiener Mittfünziger, wäre das womöglich auch ein brauchbares Modell, um insgesamt die anhaltende Scheu der Österreicher vor psychologischer Hilfe zu verringern. In der Schweiz und in Schweden wird Ludwig jedenfalls bereits kopiert.