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Daniele Muscionico für Neue Züricher Zeitung

VORBEUGEN IST BESSER ALS GAR KEINE BEWEGUNG

Der Wiener Psychotherapeut Bernhard Ludwig, ein Nachfahre Freuds, hat eine Marktlücke gefunden, gefüllt und seine Erfindung auch patentieren lassen: das Seminarkabarett. Sein Thema: unsere peinlichsten Niederlagen in Sachen Essen und Sex. Mit seinen Provokationen therapiert er in Europa zehntausende Menschen; nächste Woche in Miller’s Studio in Zürich und im Casinotheater Winterthur. Von Daniele Muscionico Er ist übergewichtig, hat zweifellos hohen Blutdruck und zweifellos eine noch höhere Affinität zum Alkohol: Bernhard Ludwig, der Psychotherapeut spricht öffentlich über Bernhard Ludwig, den Risikopatienten, und hat genau damit ohne Ende und Aber Erfolg. Erfolg als was? Als Kabarettist, sagen die einen, als Therapeut, sagen die anderen. Als „Seminarkabarettist“ sagt Bernhard Ludwig, der am diskretesten ausverkaufte Künstler Österreichs, der beiden Unrecht gibt und lieber Schamanen zitiert: „Haunted Healer“, sagen die zu Besessenen wie ihm. Dieser Heiler muss Betroffenheit nicht herstellen, weil er selber betroffen ist. Betroffen von den alltäglichen Versuchungen, Verführungen, Verwerfungen, von menschlichen und allzu menschlichen Lastern und Lüsten. Ludwigs preisgekrönte – und in Buchform in irrwitzigen Auflagen verkaufte – Programme bringen dessen höchstselbige Gefährdung auf den Punkt. Sie heissen: „Anleitung zum Diätwahnsinn“, „Anleitung zum Herzinfarkt“ und „Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit“. Damit macht er seit Beginn der neunziger Jahre gutes Geld im real existierenden Kabarett und in anverwandten Betrieben; er berät EU-Gesundheitsministerien, Urologen, Gynäkologen und führt eine Liste von Referenzkunden von Audi über Römerquelle bis Roche. Wie hat der mässig attraktive Mann, dem in Grossgruppen vor allem das weibliche Publikum an den Lippen hängt wie einstens dem Tupperware-Vertreter, seine Unglücksstrategie entwickelt? Bei Sigmund Freud, Paul Watzlawick, beim Papst vielleicht? Besitzt er jenes Gen, das unsere österreichischen Nachbarn zu Spitzenreitern der EU-Norm KPK (Kabarettisten pro Kopf) macht? Ludwig XIX. verneint. Um Folgendes zu bestätigen: Ludwig wurde als kleiner Bernhard und Sohn eines praktischen Arztes geboren. Im Alter von fünf Jahren soll er seinen Vater gebeten haben, ihn zum Medizinstudium anzumelden. Im Alter von sechs Jahren wendet er seine erste Stressbewältigungs-Strategie an, im privaten Setting zunächst: Er schliesst die Haustür ab. In der Folge leert sich die Ordination schlagartig, was zu einem schönen Feierabend für den Herrn Doktor, vor der Tür aber zu unschönen Szenen unter den Patienten führt. – Irgendwann wird auch dieser Sohn erwachsen und also Arzt. Nicht Mediziner, sondern Psychotherapeut. Seine Dissertation schreibt er zum Thema: „Behandlung der Übergewichtigkeit durch Verhaltenstherapie“. Wie sehr bereits diese Arbeit autobiographisch motiviert war, ist in den Annalen nicht vermekrt. Er beschäftigt sich in den USA zuerst mit Biofeedback, mit Mayer-Friedmann und begegnet in einer österreichischen Rehabilitationsklinik Herzinfarktpatienten und der Realsatire der Medizin: die entscheidende Wende. Bernhard Ludwig entwickelt die Vorsorge- oder wie er sagt „Lebensstil-Medizin“ in Form von Seminaren. Diese werden bald so lustig (obwohl schwerst wissenschaftlich abgesichert, u.a. durch Begleitstudien am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich), dass er beschliesst, die Fronten zu wechseln. Goodbye, moralische Infusion! Hello, Infotainment und hello, Frank Farrelly, der in den USA mit seiner „Provokativen Therapie“ Aufsehen erregte. Wenn der österreichische Agent Provocateur allerdings Flipchart und Filzschreiber benutzt für seine therapeutischen Belehrungen (wie man besser leben, gesünder essen und sogar Sex haben kann), ist das noch keine Provokation, sondern rührt daher, dass er seine Vorträge nicht vorbereitet… der klassische Tupperware-Verkäufer, wie gesagt. Beide wissen: Was zählt, ist die Kundenphantasie. Dem König Kunde zeigt Ludwig in Miller’s Studio ein „Updating“ des Programms „Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit“, brennend aktuell in einer „oversexten“ Zeit, wie er meint. Im Theater sitzt der Klient stressfreier – und volkswirtschaftlich ökonomischer – als auf einem Stuhl auf Kosten der Krankenkasse und liefert objektivere „Rückmeldungen“, wie der Seminartherapeut weiss. Rückmeldungen sind erwünscht in Form von Gesummse und nach Geschlechtern getrennt, durch das Ausfüllen von Kärtchen, die Ludwig dereinst auswerten will. – Wenn er diesen Sommer mit dem Millionenauflagen-schweren Paar- und Familientherapeuten John Gray durch Deutschland tourt, wird man definitiv glauben müssen: dieser Mann hat eine Marktlücke gefunden, die als Goldgrube zu bezeichnen eine Untertreibung ist.